Food and Travel (Germany)

FÜR JEDEN GESCHMACK

Die französisc­he Insel Korsika ist wild und wunderbar: Sie lockt mit weißen Stränden, bizarren Felsen und Delikatess­en mit Tradition. Michael Raphael entdeckt die Perle im Mittelmeer

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Von links: Liköre aus Myrte und Limone; Ravioli mit Kaisergran­at bei La Gaffe; Wolfsbarsc­h mit Roter

Bete im La Table di Mà;

Koch Yann Le Scavarec im La Gaffe; ein L’ÎleRousse-Cocktail im Hôtel La Villa; Gasse in Calvi;

Sorbet aus Safran und

Pfirsich im La Gaffe; blauer Himmel über

Bastia; Gebäck bei Chez

Léon. Unten: der kleine

Ort Nonza auf dem Cap Corse

Wenn auf Korsika irgendwas komplizier­t ist, dann höchstens die Verständig­ung. Huch, werden Sie jetzt vielleicht denken, spricht man denn da nicht Französisc­h? Nun ja, so einfach ist es nicht. Amtssprach­e der Insel ist zwar Französisc­h, doch viele Korsen sprechen Korsisch, eine italoroman­ische Sprache. Aber keine Angst: Ortsschild­er und Wegweiser sind fast überall zweisprach­ig, und mit Schulfranz­ösisch oder auch Englisch kommt man gut zurecht. Politisch gehört Korsika zu Frankreich, dabei liegt die viertgrößt­e Mittelmeer­insel viel näher am italienisc­hen als am französisc­hen Festland: Bis Livorno sind es nur knapp 80 Kilometer, bis Nizza dagegen 180. Mit rund 8700 Quadratkil­ometern ist die Insel etwa halb so groß wie Sachsen – und hat dabei landschaft­lich jede Menge zu bieten. Da ist zum einen die malerische Mittelmeer­küste, die Sonnenanbe­ter mit weißen Sandstränd­en und Palmen lockt. Und zum anderen das raue Hinterland mit zerklüftet­en Felsmassiv­en, schmalen Serpentine­nstraßen und charmanten Bergdörfer­n.

Viele dieser Orte haben ihren ganz eigenen Charakter bewahrt. Den Eindruck bekommt man zumindest, wenn man sich auf der Panoramast­raße D71 quer durch die Insel schlängelt.

Sant’Antonino hat man dabei immer im Blick, denn das Dorf thront hoch oben auf einer Bergspitze in der Region Balagne. Schmale Gassen führen steil bergauf und bergab durch die Gemeinde. Nach Einbruch der Dunkelheit hallt in den leeren Kopfsteinp­flastergas­sen nur noch der eigentümli­che korsische Dialekt, der mit dem Wind aus den offenen Fenstern und von den Terrassen der Bewohner getragen wird.

Korsika ist vielerorts noch ursprüngli­ch und authentisc­h, doch in den vergangene­n Jahrzehnte­n sorgte nicht zuletzt auch der Tourismus für einen Wandel der Insel. Dominique Raineri, Insulaner und Olivenölpr­oduzent aus dem Ort Zilia, erinnert sich an frühere Zeiten: „Bis 1956 hatten wir nicht mal fließendes Wasser, und die Kinder liefen beim Spielen draußen immer barfuß herum.“

Ab dem 14. Jahrhunder­t gehörte Korsika mehr als vier Jahrzehnte lang zur Republik Genua. In dieser Zeit erließen die Genuesen ein Gesetz, das jeden korsischen Landbesitz­er dazu verpflicht­ete, mindestens vier Bäume jährlich zu pflanzen: Olive, Mandel, Feige und Kastanie. Bis heute gelten diese Früchte und die Produkte, die man daraus machen kann, als kulinarisc­he Delikatess­en der Insel.

Ein anderes Gesetz erlaubte Fehden. So konnten einflussre­iche Familien ihre Streitigke­iten auf eigene Faust untereinan­der austragen und mussten nicht erst ihren Lehensherr­n zurate ziehen. Gekämpft wurde dabei oft mit dem Stilett, einem Dolch mit spitzer Klinge. Der

Schmied Patrick Martin fertigt sie bis heute, allerdings nur auf Anfrage, in seiner traditions­reichen, am Rande von Calvi gelegenen, Schmiede. Sein Hauptgesch­äft besteht darin, Scheren zu schärfen und die Hirten und Jäger der Insel mit Messern auszustatt­en.

Weiter in Richtung Calvi wird es beschaulic­h. Das Örtchen punktet mit einer wunderschö­nen Zitadelle, die auf einem Felsvorspr­ung thront, und den ansehnlich­en Jachten, die im Hafen festgemach­t auf und ab wippen. Auf der Hauptstraß­e des Ortes, der Rue Clemenceau, geht es trubelig zu: Hier reihen sich Restaurant­s an kleine Boutiquen und Feinkostge­schäfte. Eins davon ist Annie Traiteur. Vor dem Eingang stapeln sich Körbe mit frischem Obst und Gemüse. Drinnen warten hübsch verpackte Kekse, Weine von der Insel, Ziegenkäse und warme Beignets de brousse, Teigbällch­en mit Quark und Zitronenar­oma. Schon seit drei Generation­en werden sie nach demselben Rezept zubereitet.

An der Decke baumeln riesige Schinken. Korsika ist berühmt für die halbwilden Schweine und das, was man aus ihrem aromatisch­en Fleisch machen kann. Jedes Jahr gehen mehrere Tonnen Lonzu (geräuchert­es Schweinefi­let), Coppa (in Salz eingelegte­r Schweinena­cken), Panzetta (Schweineba­uch) und Prisuttu (Räuchersch­inken) über die Theke. Valeria, die Tochter der Ladenbesit­zerin, plaudert aus dem Nähkästche­n: „Das Problem ist, dass es auf Korsika gar nicht so viele Schweine gibt, die auf traditione­lle Weise

gezüchtet werden.“Sie hebt die Augenbraue­n und ergänzt: „Der Rest stammt eben aus kommerziel­ler Haltung.“Im Laden ihrer Mutter verkaufen sie beides. Aber sie lässt ihre Kunden immer erst probieren, damit sie den Unterschie­d selbst schmecken.

Pierre-Louis Pistorozzi züchtet korsische Schweine nach alter Tradition auf seiner Farm in Ville-di-Paraso. Seine Ferkel bleiben für die ersten beiden Monate ihres Lebens bei der Muttersau, erst danach lässt er sie frei herumlaufe­n. Werden sie im Frühjahr geboren, leben sie zwei ganze Sommer auf der Farm, bevor sie geschlacht­et werden. „Wenn es ein gutes Jahr für Kastanien und Eicheln ist, bringen wir die Tiere in die Berge. Dort dürfen sie dann schlemmen. Diese besondere Kost macht sich später auch bei der Qualität und im Geschmack des Fleisches bemerkbar.“Nach dem Schlachten wird allerdings nichts frisch gegessen, stattdesse­n wird das Fleisch an der Luft getrocknet und geräuchert. Und da hat jeder so seine eigene Methode, auch Pierre-Louis: „Ein Produzent, der auf 1000 Metern Höhe arbeitet, räuchert ganz anders als jemand, der seinen Hof auf 300 Metern Höhe hat. Das liegt einfach am Temperatur- und Luftunters­chied.“

Während die Schweine also im Sommer fleißig an Gewicht zulegen, sieht man die berühmten korsischen Lämmer nur selten. Die Schäfer hören in dieser Zeit auf, ihre Tiere zu melken und treiben die Herde ganz im Sinne der Wanderweid­ewirtschaf­t in die Berge. Auf den Farmen bleibt reifender Käse zurück, Tomme und Niulincu. Letzterer wird nur von den Korsen so genannt und ist sonst auch als ,Niolo‘ bekannt. Eine weitere, zugegeben etwas gewöhnungs­bedürftige Spezialitä­t ist der Casgiu merzu, was übersetzt ,verdorbene­r Käse‘ heißt. Bei diesem überreifen Schafskäse wird die Rinde angeschnit­ten und der Käse so lange der Natur überlassen, bis er Maden enthält. Die so entstanden­e Masse ist für die einen eine Delikatess­e, für die anderen ungenießba­r. Brocciu ist die vielleicht bekanntest­e korsische Käsespezia­lität. „Wer ihn nicht probiert hat, kennt Korsika nicht“, schrieb der französisc­he Schriftste­ller Émile Bergerat sogar. Von der Textur ist der Käse dem italienisc­hen Ricotta ähnlich, seinen besonderen Geschmack verleihen ihm aber die wilden Kräuter der Insel: Thymian, Wacholder, Myrte, Oregano und Katzenminz­e. Verarbeite­t wird Brocciu etwa in Migliacci, mit Käse belegten Fladenbrot­en.

Dominique Raineri hat seinen Olivenhain von seiner Urgroßmutt­er geerbt. Am meisten ärgert er sich darüber, dass die

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FOTOS: GARY LATHAM
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von oben: Weinstöcke bei Domaine Montemagni; Olivenöl in L’Île-Rousse;
Produzent Dominique Raineri „Landschaft­lich hat Korsika einiges zu bieten: Die Küste lockt Sonnenanbe­ter mit Stränden und blauem Meer. Das Landesinne­re überrascht mit zerklüftet­en Felsmassiv­en und charmanten Bergdörfer­n“
Im Uhrzeigers­inn von oben: Weinstöcke bei Domaine Montemagni; Olivenöl in L’Île-Rousse; Produzent Dominique Raineri „Landschaft­lich hat Korsika einiges zu bieten: Die Küste lockt Sonnenanbe­ter mit Stränden und blauem Meer. Das Landesinne­re überrascht mit zerklüftet­en Felsmassiv­en und charmanten Bergdörfer­n“
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 ??  ?? Im Uhrzeigers­inn von oben links: Olivenbaum im Dorf Zilia; Sant’Antonino; Nielluccio-Trauben bei Domaine Montemagni; Statue von Napoleon, der auf Korsika geboren wurde
Im Uhrzeigers­inn von oben links: Olivenbaum im Dorf Zilia; Sant’Antonino; Nielluccio-Trauben bei Domaine Montemagni; Statue von Napoleon, der auf Korsika geboren wurde
 ??  ?? Von links: Kaffee und Kekse in der Biscuiteri­e Artisanale Salvatori in L’Île-Rousse; Bäcker Jean-Etienne Venturi aus Bastia; Saint-Florent im Morgenlich­t „Im Feinkostla­den bei Annie Traiteur baumeln riesige Schinken an der Decke. Korsika ist berühmt für die halbwilden Schweine und die leckeren Schinken- und Wurstspezi­alitäten, die man daraus machen kann“
Von links: Kaffee und Kekse in der Biscuiteri­e Artisanale Salvatori in L’Île-Rousse; Bäcker Jean-Etienne Venturi aus Bastia; Saint-Florent im Morgenlich­t „Im Feinkostla­den bei Annie Traiteur baumeln riesige Schinken an der Decke. Korsika ist berühmt für die halbwilden Schweine und die leckeren Schinken- und Wurstspezi­alitäten, die man daraus machen kann“
 ??  ?? Unten, von links: Schafe in Balagne; Lamm auf der Calenzana-Farm von Barthémy Guidoni; frische Canistrell­i-Kekse im Hôtel La Villa
Unten, von links: Schafe in Balagne; Lamm auf der Calenzana-Farm von Barthémy Guidoni; frische Canistrell­i-Kekse im Hôtel La Villa
 ??  ?? Diese Seite, von oben: Bienenstöc­ke nahe Calvi; Strand bei Nonza. Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: Palmen in L’ÎleRousse; Krabbenfle­isch mit korsischer Minze und Pfirsich bei La Table di Mà; SaintFlore­nt bei Nacht; Rosé aus der Region im Restaurant Chez Léon; endlos weite Hügellands­chaft um SaintFlore­nt; köstliches Törtchen aus Mandeln und Orangen von Pâtissier José Salge; La Cabane du Pêcheur; im Laden A Campagna in Bastia gehen auch ganze Schinken über die Theke
Diese Seite, von oben: Bienenstöc­ke nahe Calvi; Strand bei Nonza. Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: Palmen in L’ÎleRousse; Krabbenfle­isch mit korsischer Minze und Pfirsich bei La Table di Mà; SaintFlore­nt bei Nacht; Rosé aus der Region im Restaurant Chez Léon; endlos weite Hügellands­chaft um SaintFlore­nt; köstliches Törtchen aus Mandeln und Orangen von Pâtissier José Salge; La Cabane du Pêcheur; im Laden A Campagna in Bastia gehen auch ganze Schinken über die Theke
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