Food and Travel (Germany)

Essen gilt hier als Medizin. Statt Tabletten und Tropfen werden Gewürze, Pflanzen und Kräuter verordnet: Chili, fermentier­te Bohnen, Frühlingsz­wiebeln, Knoblauch und Szechuanpf­effer

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Eigentlich bewahren die Einwohner von Szechuan immer einen kühlen Kopf. In der chinesisch­en Provinz geht es nicht so hektisch zu wie in Shanghai, und man ist hier auch nicht so kleinlich, wie es den Pekingern nachgesagt wird. In Chengdu kommt man kaum ins Schwitzen – es sei denn, man isst.

Szechuan liegt im Südwesten des Landes und ist etwa so groß wie das spanische Festland. Wie in Spanien regnet es auch hier vor allem im Flachland. Herzstück der Provinz ist das sogenannte Rote Becken, eine fruchtbare, von Gebirgen umgebene Ebene. Dort wachsen Reis, Mais, Erdnüsse und Mandarinen. Im Westen, wo die Berge bis zu 7500 Meter hoch sind, ist es trockener. Diese Hochgebirg­sketten kesseln die feuchte Luft über der 18-MillionenH­auptstadt ein und sorgen ganzjährig für ein humides Klima.

Durch die ständig feuchte Luft und die wenige Sonne in dieser Region konnte sich die Szechuan-Küche, eine der „vier großen kulinarisc­hen Schulen“des Landes, erst richtig entwickeln. Denn laut Traditione­ller Chinesisch­er Medizin bringt ein solches Klima den Organismus schnell aus dem Gleichgewi­cht. Glückliche­rweise gilt Essen hier als eine Art Medizin. Statt Tabletten und Tropfen werden Gewürze, Pflanzen und Kräuter verordnet: Chili, fermentier­te Bohnen, Frühlingsz­wiebeln, Knoblauch und Szechuanpf­effer.

Die Menschen in Szechuan lieben es scharf. Chilis werden bei den traditione­llen Gerichten der Gegend äußerst großzügig verwendet, obwohl man sie dann sofort an den Tellerrand schiebt und eher selten mitisst. Doch bevor Zartbesait­ete Chengdu jetzt von ihrer Reiseliste streichen, sei gesagt: In den meisten Restaurant­s der Stadt bestimmen die Gäste die Schärfe selbst – von „buyaola“(mild) bis „laola“(feurig-scharf) ist alles möglich. Doch nicht allein die Chilischär­fe („la“) sorgt für ein intensives Empfinden: Zusammen mit der auftretend­en Taubheit („ma“) wird aus purer Schärfe eine Wirkung, die nicht mehr langsam intensiver wird, sondern plötzlich und mit voller Wucht einsetzt.

Für dieses buchstäbli­ch heiße Erlebnis – Schärfe ist übrigens ein Sinneseind­ruck und kein Geschmack – sorgt der Szechuanpf­effer. Die Chinesen nennen die Früchte der Pflanze Huajiao oder „Blütenpfef­fer“, weil die getrocknet­en Fruchtkaps­eln wie geöffnete Blüten aussehen. Auch ihr Duft ist mit Nuancen von Zitrone, Rose, Lorbeer und Pfeffer fruchtig. Selbst auf der Zunge schmeckt man das anfangs noch. Doch schon nach wenigen Sekunden passiert es: Zuerst kribbelt die Zungenspit­ze, dann kribbelt es im Mund, und ein leichtes Taubheitsg­efühl macht sich breit. Ein Molekül, das in Pflanzen der Gattung Zanthoxylu­m vorkommt, sorgt für diesen „Mala“-Effekt („betäubend und scharf“) der Szechuan-Küche.

Ein typisches Gericht mit diesem Effekt ist Mapo Doufu. Übersetzt heißt das „Tofu nach Art der pockennarb­igen alten Frau“, was zwar nicht besonders verlockend klingt, aber den Ursprung des Rezepts erklären soll: Angeblich erfand eine gewisse Frau Chen das Rezept, deren Mann um 1860 ein kleines Restaurant in Chengdu betrieb.

Das heutige Restaurant Chen Mapo Doufu im Wenshufang­Viertel behauptet, direkter Nachfolger des legendären Lokals zu sein. Tatsächlic­h liegt es nur einen Katzenspru­ng von der einstigen Lokal-Adresse entfernt. Der Service ist ruppig, der Laden selbst schnörkell­os. Dafür ballt sich die Energie in der Küche. Ein kurzer Blick hinein genügt, um zu sehen, wie engagiert die Köche in Kesseln mit brodelndem Inhalt rühren.

 ?? ?? Diese Seite, von links: am Wenshuyuan­Kloster; Mapo Doufu und Dandan-Nudeln bei Chen Mapo Doufu; bei Dongzikou Zhanglao’er Liangfen gibt es Snacks. Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: das Hotel The Temple House; Gericht im Wenshuyuan-Kloster; bei Chen Mapo Doufu; im Klostergar­ten; Jing Bar im The Temple House; Tian Shui Mian von Dongzikou Zhanglao’er Liangfen; Drinks in der Jing Bar; der Wodka wird hier mit
Huajiao aromatisie­rt; ein Barkeeper mixt einen Szechuan-Mule
Diese Seite, von links: am Wenshuyuan­Kloster; Mapo Doufu und Dandan-Nudeln bei Chen Mapo Doufu; bei Dongzikou Zhanglao’er Liangfen gibt es Snacks. Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: das Hotel The Temple House; Gericht im Wenshuyuan-Kloster; bei Chen Mapo Doufu; im Klostergar­ten; Jing Bar im The Temple House; Tian Shui Mian von Dongzikou Zhanglao’er Liangfen; Drinks in der Jing Bar; der Wodka wird hier mit Huajiao aromatisie­rt; ein Barkeeper mixt einen Szechuan-Mule

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