Cettinas Welt
Die Kochbuchautorin, Fotografin und Künstlerin Cettina Vicenzino hat für uns ihre liebsten Gerichte zusammengestellt und weiß dazu auch noch eine passende Geschichte zu erzählen
Cettina Vicenzino erklärt die Entstehung des Tiramisu
GENUSSMOMENT Cettina Vicenzino liebt den Dessertklassiker (o.l.) VARIANTE Aus den Zutaten des Rezepts von Seite 10 eine Torte aufschichten (o.r.) HAUPTZUTAT Frisch zubereiteter Espresso bestimmt den Geschmack eines Tiramisu maßgeblich (u.l.) FESTLICH Tiramisu ist eine wunderbare Nachspeise fürs Weihnachtsmenü (u.r.)
Clara Vada Padovani und Gigi Padovani publizierten 2016 ein Buch mit der leidigen Frage „Wer hat’s erfunden?!“. Gemeint ist damit der berühmteste „dolce al cucchiaio“, der Tiramisù, der seit seiner Erfindung, oder besser gesagt seit seinem Erfolg, zwischen zwei Regionen, Veneto und Friuli-Venezia Giulia, hin und hergezerrt wird. Das Autorenpaar fand heraus, dass der berühmteste „dolce“der Welt nicht wie bisher vermutet im Veneto in der Stadt Treviso Anfang der 1970er-Jahre von Roberto Linguanotto und Ada Campeol im Restaurant „Alle Beccherie“erfunden wurde, sondern schon 1946 in Pieris, einer kleinen Ortschaft in Gorizia. Mario Cosolo, Koch und Besitzer der Trattoria „Al Vetturino“, kreierte eine Süßspeise, die er „tireme su“nannte.
Das Rezept des „Tiremesu bisiaco“, was so viel bedeutet wie „Tiramisu aus dem Territorium um Gorizia“, ist von seiner Tochter Flavia Cosolo unter notarieller Aufsicht schon vor langer Zeit registriert worden. Ihr Vater habe den Tiramisù sogar bereits in den 1930er-Jahren erfunden. Jedoch enthielt die Speise keinen Mascarpone, weil er zu der Zeit in Friuli-Venezia Giulia nur als Käse, aber nicht als Dessertcreme bekannt war. Stattdessen handelte es sich um ein Dessert aus Zabaionecreme, Sahne mit eingerührtem Kakaopulver, Biskuit und Marsala, das ihr Vater in einem Glas schichtete und „Coppa Vetturino“nannte. Das soll um 1935 herum gewesen sein. Später soll ein Gast beim Verkosten ausgerufen haben: „Ottimo, c’ha tirato sù!“(„Hervorragend, das hat mich hoch gezogen!“). Deshalb änderte ihr Vater ab 1946 den Namen des Desserts in „tireme su“um.
Zwar war der Name geboren, aber das Dessert, wie wir es heute kennen, war es noch nicht. Erst 1951 kam Mascarpone in den Tiramisù – es hieß fortan „tirimi su“oder auch „dolce tirami su“. Es soll die Idee der Köchin Norma Pielli im Restaurant „Albergo Roma“in Tolmezzo gewesen sein. Nach Aussage eines damaligen Kochs kannten sich beide Restaurants. Das Rezept von Mario Cosolo wurde vom Restaurant „Albergo Roma“– nicht zur Freude von Mario Cosolo – übernommen und weiterentwickelt. Aber auch Clara Vada Padovani und Gigi Padovani scheinen sich nicht auf nur eine Wahrheit festlegen zu wollen und veröffentlichen in ihrem Buch alle ihnen bis heute bekannten und authentischen Originalrezepte des Tiramisù. Zwei davon kommen aus dem Veneto: „Tiramesù“von Roberto Linguanotto und Alba Campeol und „Tiramisù“von Speranza Bon, der Inhaberin des Restaurants „Al Camin“, die ihre Süßspeise Mitte der 1950er-Jahre erfand und „Coppa Imperiale“nannte. Zwei weitere stammen aus Friaul: „Tireme su“von Mario Cosolo und „Tirimi su“bzw. „dolce Tirami su“von Norma Pielli. Die erste Erwähnung der Süßspeise, wie wir sie heute kennen, findet man in einem Bericht von Giuseppe Maffioli im Magazin „Vin Veneto. N.01“aus dem Jahr 1981. Darin legt er Roberto Linguanotto als den Erfinder fest.