Schatzinseln
Die Karibik ist für endlos blaues Meer bekannt. Ein kleines Inseltrio mittendrin hat da noch mehr zu bieten: Auf den Kaimaninseln findet Estella Shardlow knallig bunte Strandhütten, exotische Zutaten und kreative Köche
Die Karibik ist ein Traumreiseziel. Wir entführen Sie auf die wunderbaren Kaimaninseln
Es könnte jede karibische Insel sein. Zumindest, was das Setting angeht: träge Reggaesounds, Hütten mit strohgedeckten Dächern, Palmen, unglaublich blaues Wasser und ein gut gelaunter Barkeeper, der Rum und Ananassaft zu einem Drink mischt. Dann kommt das Essen: Vor mir steht ein Teller mit etwas, das aussieht wie Tintenfisch, gefüllt mit klein geschnittenem Gemüse. Den gibt es in der Karibik überall. „Ob mir der beim Schnorcheln schon mal begegnet ist?“, denke ich noch und nehme den ersten Bissen. Meine Geschmacksnerven setzen gerade zu Höhenflügen an, als jemand ruft: „Das ist Kokosnuss.“Koch Gilbert Cavallaro hat auch nach 20 Jahren auf den Kaimaninseln noch einen charmanten französischen Akzent. Als ich mich zu ihm umdrehe und er meine verdutzte Miene sieht, rutscht ihm vor lauter Lachen sein grünes Stirnband ins Gesicht. „Ich mariniere dünne Kokosnussscheiben mit einer Jerk-Gewürzmischung und koche sie dann nur kurz, damit das Fleisch fest bleibt, eben so wie beim Tintenfisch. Und die Füllung ist aus Chayote, das ist eine lokale Kürbisart“, erklärt er. „Als Veganer entdecke ich immer wieder neue spannende Produkte auf den Inseln.“Er deutet auf die schmalen Bäume gleich hinter dem Restaurant. „Moringablätter – ein echtes Superfood, mit einer Schärfe, die an Meerrettich erinnert.“
Ich bin zunächst baff: Ein veganer Koch aus Frankreich, exotische Inselzutaten und eine große Portion Kreativität: Diese Mischung ist es wohl, die dem Inseltrio im westlichen Karibischen Meer den Spitznamen „Kulinarik-Hauptstadt der Karibik“einbrachte. Auf Grand Cayman, Cayman Brac und Little Cayman gibt es keine historischen Gebäude wie auf Kuba und auch kein Bergpanorama wie auf Jamaika. Dafür haben die Kaimaninseln kulinarisch die Nase ganz weit vorne. Das Angebot ist groß – und verlockend.
Wie wär’s mit einer vegetarischen Buddha Bowl zum Frühstück? Mittags gibt’s dann Fischkroketten auf Campingstühlen an einer Strandhütte und abends Thunfischcarpaccio mit Foie Gras in einem der besten Restaurants der Karibik, dem Blue by Eric Ripert.
Das ist auf den Kaimaninseln ohne Probleme möglich, auch, weil Postkartenstrände, gute Infrastruktur und – nun ja – das äußerst diskrete und steuerlich attraktive Bankwesen vor Ort Besucher aus aller Welt anlocken. Die Inseln sind britisches Überseegebiet, und tatsächlich gibt es viele Briten hier. Insgesamt sind sogar gut die Hälfte der 66.000 Einwohner Zugezogene, neben Briten vor allem Amerikaner, Kanadier, Jamaikaner und Inder. All diese Kulturen hinterlassen auch kulinarisch ihre Spuren. „Es gibt einen Unterschied zwischen karibischer Küche und der Küche der Kaimaninseln“, sagt Eliot Wilkie, ein Waliser, der jetzt Küchenchef im Restaurant Catch ist. „Natürlich bekommt man hier das typische Jerk-Chicken, Kochbananen und süße Mango zum Dessert. Aber das ist längst nicht alles, was die Inseln zu bieten haben.“Auch in der Küche des Restaurants Agua kommt die ganze Welt zusammen: Der peruanische Koch Antonio Mercado portioniert gerade die Ceviche, die er nach dem Rezept seiner Großmutter zubereitet hat. Am anderen Ende der Küche steht sein
italienischer Kollege Fabio Andreazzoli. Er schwenkt frisch gerollte Tagliatelle in Sardellenbutter, holt sie mit Schwung aus der Pfanne und drapiert sie elegant zu einem Türmchen. Gekrönt wird das Ganze mit einem Thunfisch-Tatar. Im Kimpton Seafire Resort treffen wir auf ein ähnliches Szenario: Massimo De Francesca ist hier Küchenchef. Über sein Team sagt er: „In meiner Küche arbeiten Menschen aus mehr als 54 Nationen. Die Küche wird bei uns oft zur kreativen Spielwiese: Wir experimentieren, tauschen gegenseitig Rezepte aus und schauen den anderen bei der Arbeit über die Schulter.“Es ist ein und dieselbe Geschichte, egal, wo man auf der Insel ist. Diese Vielfalt war nicht immer so selbstverständlich. Als die ersten Siedler im 17. Jahrhundert auf den Inseln ankamen, standen hauptsächlich stärkehaltige Gemüse und Pflanzen wie Maniok, Yamswurzeln und Kürbis auf dem Speiseplan. Dazu jede Menge Fleisch. Britta Bush, Besitzerin des veganen Cafés Saucha Conscious Living, erzählt uns: „Früher aßen die Menschen auf den Inseln hier sehr viel Fleisch, zum Beispiel in Curry eingelegte Hähnchen, Ochsenschwänze und Schildkröten.“
Viele Einflüsse sind auch aus Jamaika herübergeschwappt, denn die Kaimaninseln waren lange Zeit eine Kolonie der großen Nachbarinsel. Das erzählt mir Mario Machado, selbst gebürtiger Jamaikaner und Besitzer des Restaurants Peppers. Während wir plaudern, serviert er mir Salzfisch mit Akee. Die gelbe Frucht hat eine wachsartige Konsistenz und könnte gekocht glatt als Rührei durchgehen. Die Kombi aus Fisch
und herzhaft angemachter Frucht ist ein Frühstücksklassiker auf Jamaika. Ähnlich berühmt ist Jerk Chicken, die Spezialität des Hauses im Peppers. „Auch wenn die Gerichte gleich klingen, gibt es doch Unterschiede. Auf Jamaika wird das Fleisch über dem Feuer gegart. Auf den Kaimaninseln nutzt man eher den Grill und sorgt mit Marinaden für Aroma.“Als ich ihn nach dem Rezept für seine Jerk-Mischung frage, grinst Machado. Das sei geheim. Immerhin verrät er, dass er fünf verschiedene Pfeffersorten benutzt.
Als sich in den 1970er-Jahren rumsprach, dass die Kaimaninseln so etwas wie die Schweiz der Karibik sind – allerdings mit Traumstränden – kamen mit den gut betuchten Gästen auch teure ausländische Produkte und internationale Speisen auf die Inseln. An indischen und chinesischen Restaurants mangelt es heute ebenso wenig wie an amerikanischen Dinern und irischen Pubs. Dafür sind aber auch kreative Köche und neue Trends in die Karibik gekommen. So hat man im Cayman Cabana zum Beispiel schon früh das Farmto-Table-Konzept übernommen. Die Besitzer Luigi und Christina Moxam, ein junges Paar von den Kaimaninseln und aus Kanada, erklären, dass sich ihre Speisekarte täglich nach dem richtet, was die Bauern und Fischer eben so anbringen.
„In den Restaurants der Insel arbeiten Menschen aus aller Welt. Sie experimentieren, tauschen
gegenseitig Rezepte aus und schauen einander bei der Arbeit über die Schulter“
„Wir arbeiten saisonal und nur mit frischen Zutaten“, sagt Luigi. Seine Ceviche ist heute zum Beispiel aus Conch gemacht. Die Große Fechterschnecke, wie sie auf Deutsch heißt, hat eine pinke Schale, die man an jedem Strand der Kaimaninseln findet. Ebenfalls auf der Karte ist ein Avocado-Toast, bekannt und beliebt bei Hipstern von Berlin bis Los Angeles. Luigis Variante ist mit Kokosnuss-Speck belegt. Dafür wird eine dünne Scheibe Kokosnuss getrocknet und mit Gewürzen geröstet, dazu gibt es Tomaten. Apropos Tomaten: „Hier auf Cayman gibt es die besten, die ich je gegessen habe“, verkündet Eliot Wilkie aus dem Restaurant Catch. „Sie schmecken unglaublich süß und aromatisch.“
Auf den Wochenmärkten von Cricket Grounds oder Camana Bay sieht man Obst und Gemüse im Überfluss. Und nichts, was es nicht gibt: von Auberginen über Okra und Pak Choi bis hin zu Radieschen. Das alles wächst und gedeiht im verschlafenen und weniger erschlossenen Osten der Insel. Ich mache mich in diese Richtung auf, lasse Malls, Souvenirläden und große Hotelketten hinter mir, erreiche schon bald Bodden Town und kurz darauf den Ort Savannah. Die ungewöhnlichste Entdeckung mache ich aber auf einem Parkplatz in einem Gewerbegebiet namens Cricket Square in George Town, der Hauptstadt der Inselgruppe. Ich spaziere mit Michiel Bush und Aide Davila durch den Bio-Garten ihres Restaurants The Brasserie. Durch die dichten grünen Blätter kann ich glänzende SUVs und Bürogebäude erspähen. Davila, die für alle gärtnerischen Tätigkeiten zuständig ist, pflückt eine rote Bohne von einer Pflanze und rollt sie zwischen den Fingern: „Kaffee“, sagt sie leise. Fast so, als wäre sie selbst überrascht, was sie in dieser Betonumgebung zum Wachsen gebracht hat. Sie zeigt mir Trauben, die später zu Essig vergoren werden, Kakao, den sie für Desserts nutzt, und Kaffernlimetten, die als Sirup den Cocktails des Restaurants eine fruchtige Note geben.
Von jeher produzieren die Insulaner aus ihren tropischen Zutaten Marmeladen, Tees und Rum. Die junge Generation hat neue Ideen. Britta Bush wurde bei der Arbeit in ihrem veganen Café vom Prozess des Fermentierens inspiriert. Sie brachte sich selbst bei, wie man Kombucha braut und Sauerteig ansetzt. „Diese handwerklichen und eigentlich uralten Techniken verschmelzen hier auf den Inseln. Und am Ende kommt meistens etwas sehr Leckeres raus“, sagt sie. Besonders stolz ist sie auf ihr „Powerkraut“, eingelegter Kohl, den sie mit Kurkuma würzt.
Dass es den Insulanern auf Grand Cayman nicht an innovativen Ideen mangelt, bestätigen auch The Farmacy, ein jüngst gegründeter Lieferservice, der Obst- und Gemüseboxen bringt, und die 19-81 Brewing Company. Hier wird Craft-Bier in kleinen Margen aus dem, was von der Ernte nicht in den Handel geht, gebraut. „Unser Guinep, ein Bier mit spanischer Limette, war innerhalb von zwei Tagen ausverkauft. Dann kam ein Mann zu uns und lud 18 Kilogramm Limetten ab. Er sagte: ,Hier, macht noch mehr!‘“, erzählt Brauereimeister Jordan MacNevin und grinst bis über beide Ohren.
Wer auf einer Insel lebt, muss nachhaltig und kreativ mit den Ressourcen umgehen. Man muss aber auch mal den Blick in die Ferne schweifen lassen und offen für Neues sein. Die Menschen auf den Kaimaninseln machen beides. „Die Kultur hier ist immer im Wandel, ständig bewegt sich etwas, und das, obwohl die Inselgruppe so klein ist“, sagt Bush. „Die Menschen, die hier leben, bringen alle eine Geschichte mit. Deshalb ist es auch egal, ob ein Gericht nun auf jamaikanische, französische oder welche Weise auch immer zubereitet wird. Am Ende hat man oft ein bisschen von allem auf dem Teller. Das macht die Kaimaninseln so besonders.“
Food and Travel reiste mit freundlicher Unterstützung des Cayman Islands Department of Tourism nach Grand Cayman. Mehr Informationen auf der Website visitcaymanislands.com
„Von jeher produzieren die Insulaner aus exotischen Zutaten Marmeladen, Tees und Rum. Die Jungen haben neue Ideen: Sie machen Sauerteig und brauen Craft-Bier mit Limetten“